muyelinh's reviews
92 reviews

Scharf geschossen: die Krimi-Anthologie zur Frauen-Fußball-WM 2011 by Rebecca Gablé

Go to review page

funny mysterious relaxing fast-paced
  • Plot- or character-driven? A mix
  • Strong character development? No
  • Loveable characters? It's complicated
  • Diverse cast of characters? No
  • Flaws of characters a main focus? Yes

3.5

Viel erwartet habe ich mir im Vorhinein nicht von dieser Zusammenstellung von Kriminalkurzgeschichten vor dem Hintergrund der Frauenfußball-WM 2011. Insofern bin ich ganz froh, dass einige der Geschichten durchaus lesenswert waren und ich das Buch nicht nur als Meme lesen musste.

Obwohl die Schreibenden, mit Ausnahme des Herausgebers und Verfassers der überaus cringigen, unpassend mit Fußballerzitaten angereicherten Einleitung, ausnahmslos deutsche Autorinnen sind, habe ich eine gewisse Zweiklassengesellschaft ausgemacht. Die Geschichten, die im Ausland spielen, gefielen mir fast durch die Bank etwas besser. Susanne Mischke eröffnet mir mit "Falsche Tür" beinahe einen neuen Horizont bezüglich meiner Äquatorialguinea-Kenntnisse. Und Rebecca Gablés "Das Wunder von Preston" ist zwar kriminologisch etwas dünn, aber atmosphärisch und in historischer Hinsicht sehr stark, ganz, wie man es von der Grand Dame des deutschen Histo-Romans erwarten darf.

Die übrigen beiden Auslands-Geschichten, "Das Spiel ihres Lebens" von Nina George (Nigeria) und "Marie-Lyn s'engage - Marie-Lyn setzt sich voll ein" von Sabine Deitmer (Frankreich) definieren sich stark über emanzipatorische Tendenzen des Frauseins mit Fußballbezug, sind aber trotz fehlender Spannung noch solide Unterhaltung.

Bei den in Deutschland spielenden Geschichten ist das Bild nicht mehr so homogen. Hier haben mich zwei Geschichten unterhalten: Tatjana Kruses herrlich überzogene Gangsterkomödie "Sven-Olaf krallt sich die Mädels von Nadeshiko Japan" und Christiane Frankes Rachestory "Gleiches mit Gleichem", bei der ich lange einen Twist erwartete, der nie kam, die aber sonst solide und ganz nett zu lesen ist.

Die restlichen 6 Geschichten empfand ich als ziemlich lahm, teilweise unnötig verwirrend und als zu weit von der Grundprämisse entfernt. Judith Merchants Geschichte "Herbie, mein Herbie" beispielsweise lässt interessante Ansätze erkennen, ergeht sich dann aber eher in einer misogynen Weltbetrachtung in gehässiger Sprache ohne Spannungsbogen oder Pointen.

Wer vor Spannung seine Nägel abkauen will, ist mit dem Buch nicht gut bedient. Wer einfach nur mal ein bisschen skurril zusammengeschusterte Unterhaltung sucht, findet möglicherweise den einen oder anderen bekömmlichen Happen. Insgesamt eine ordentliche Anthologie, die meine Erwartungen erfüllt hat, wenngleich die Storys doch sehr Hit oder Miss sind. 
Narziß und Goldmund by Hermann Hesse

Go to review page

adventurous challenging reflective slow-paced
  • Plot- or character-driven? Character
  • Strong character development? It's complicated
  • Loveable characters? No
  • Diverse cast of characters? Yes
  • Flaws of characters a main focus? Yes

2.5

Hesses Roman setzt mit großer sprachlicher Schönheit ein. So urteilt zumindest Thomas Mann, und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass der Godfather of Nebensatzungetüme am ersten Satz dieses Buches, welcher sich über 18 Zeilen und eine halbe Seite erstreckt, seine helle Freunde gefunden haben wird. Für alle, die man mit derartigen Konstruktionen jagen kann, sei gesagt: Dies bleibt das einzige Experiment dieser Ausformung im Werk, im Großen und Ganzen ist der Stil Hesses verständlich, wenngleich hin und wieder durchaus altertümelnd, diese 320 Seiten können sich unter Umständen sehr lang anfühlen.

Aber worum geht es eigentlich? Um einen Antagonismus - den Geistesmenschen und Denker Narziß sowie den Gefühlsmenschen Goldmund. Die Hauptfiguren treffen im Kloster aufeinander und freunden sich an, eingebettet in eine zunächst vordergründige Harmonie, die das Konfliktpotenzial nicht freilegt. Der Autor entscheidet in gottgleicher Manier: Ihr beide seid jetzt Freunde. Wie bei vielem anderen auch fehlen mir hier Hintergründe, glaubhafte Erklärungen. Wie viel Pfeffer hätte der Einstieg in diesen Roman gehabt, wären die Protagonisten keine Freunde gewesen, sondern Feinde!

Nach sechs Kapiteln ändert sich die Szenerie grundlegend. Der Leser verfolgt nun nur noch den Weg von Goldmund. Ein unsteter Weg in wilder Umgebung. Jannis Niewöhner, der in der Verfilmung des Stoffes aus dem Jahr 2020 den Goldmund spielt, beschreibt den Inhalt als "Roadmovie im Mittelalter". Mittelalter ist hierbei nicht ganz richtig, denn an einer Stelle im Roman wird die Schlacht von Pavia erwähnt, welche 1525 stattfand, wir befinden uns also bereits in der Frühen Neuzeit. Und auch der Begriff "Roadmovie" mag die Stimmung der Erzählung aufgreifen, berücksichtigt aber nicht das Streben des Protagonisten nach dem künstlerischen Schaffen und den amourösen Abenteuern mit dem weiblichen Geschlecht. Ich bevorzuge daher die romantisch vorgeprägte Bezeichnung "Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders".

Aus Plotsicht ist in diesen Passagen kaum noch etwas zu holen. Goldmund liebt eine Frau nach der nächsten, bis es mir zum Halse raushängt. Alle Frauen fahren total auf ihn ab, denn "es war diese Kindlichkeit, dies Offenstehen, diese neugierige Unschuld der Begierde, diese vollkommene Bereitschaft zu allem, was eine Frau irgend von ihm begehren mochte" (S. 104). Ist klar. Das ist eine reine Männerfantasie eines offenbar selbst ziemlich erfolglosen Liebhabers.
Hier noch eine kleine Kostprobe der gesammelten Kringeligkeiten, die mit diesem Liebesverständnis einhergehen: "Lene, hast du schon einmal im Herbst in einem Walde den dicken Pilz gesehen, den die Schnecken so gerne mögen und den man essen kann? [...] Gerade so braun wie er ist dein Haar, Lene. Es riecht auch so gut. Wollen wir noch eins singen? Oder hast du etwa Hunger? In meinem Ranzen ist noch etwas Gutes." (S. 213)
Wer redet, mein Gott, wer *flirtet* so?? Und das ist wirklich nur die Spitze des Eisbergs, solcherlei Ansprachen werden immer abstruser. 

Ich hatte gehofft, wenn schon nicht durch die Geschichte selbst unterhalten zu werden, dann zumindest etwas mitnehmen zu können aus dem Buch, welches von vielen als geradezu persönlichkeitsbildend empfunden wird. Stefan Ruzowitzky, der Regisseur des oben genannten Films, gibt an, er sei von "diesem Menschen, der sich zur Kunst bekennt und rausgeht in die Welt" beeindruckt gewesen, als er den Roman mit 15-16 Jahren gelesen habe. Ich denke, hier liegt die Krux für mich selbst. Ich identifiziere mich, ohne seine geistige Brillanz für mich reklamieren zu wollen, deutlich mehr mit dem Geistesmenschen Narziß, für den die Sicherheit der Klostermauern und die Beschäftigung mit den Büchern wichtige Konstanten sind, als mit dem ungebundenen Goldmund. Leider kommt Narziß aber in großen Teilen des Werkes nicht vor. Andere mögen sich daher exzeptionell wiederfinden in diesen Zeilen, ich leider nicht.

Ich begann also zu Verzweifeln, während ich mich in dieser Geschichte voranwälzte, bis ich doch endlich auf einen Gedanken stieß, der mich einnahm:
"Eines aber wurde ihm bei dieser Gedankenübung klar, nämlich warum so viele tadellose und gutgemachte Kunstwerke ihm ganz und gar nicht gefielen, sondern trotz einer gewissen Schönheit ihm langweilig und beinah verhaßt waren. [...] Sie waren so schwer enttäuschend, weil sie das Verlangen nach Höchstem erweckten und es doch nicht erfüllten, weil ihnen die Hauptsache fehlte: das Geheimnis." (S. 188).
Hat der Autor hier gerade sein Buch beschrieben? Das klingt vielleicht erstmal gehässig, aber Hermann Hesse durchaus zutrauen, dass er sich der Ambivalenz seiner Geschichte für die gesamte Leserschaft durchaus bewusst war und diese Worte nicht zufällig benutzt hat. Und ehrlich gesagt beeindruckt mich genau das: den Leser zu verstehen und ernstzunehmen, ohne sich ihm anzubiedern auf Kosten der eigenen Agenda.

Ausdrücklich loben möchte ich außerdem die Darstellung des Todes.
"Die ganze Gegend, das ganze weite Land stand unter einer Wolke von Tod, unter einem Schleier von Grauen, Angst und Seelenverfinsterung, und das Schlimmste waren nicht die ausgestorbenen Häuser, die an der Kette verhungerten und verwesenden Hofhunde, die unbegraben liegenden Toten, die bettelnden Kinder, die Massengräber vor den Städten. Das Schlimmste waren die Lebenden, die unter der Last von Schrecken jnd Todesangst ihre Augen und ihre Seelen verloren zu haben schienen." (S. 223 f.)

Schöner hat niemand über den Tod geschrieben, seit Andreas Gryphius die Zeile "daß auch der Seelenschatz so vielen abgezwungen" aufs Papier bannte. Wer also an einer Poesie des Todes interessiert ist, sollte unbedingt einmal zu Hesse greifen.

Der letzte Teil müsste mich wieder mehr abholen, und die Gespräche der wiedervereinigten Freunde, insbesondere über die Theodizee und dir Handhabung des Betens, sind interessant, ich hätte es allerdings nicht ertragen, wenn diese sich durchs gesamte Buch gezogen hätten.

Insgesamt hat mich das Werk leider über weite Strecken nicht abgeholt. Anderen mag das wiederum ganz anders gehen. 
A Photographic History of British Football by Tim Hill

Go to review page

informative slow-paced

5.0

"Facts, Figures, Stats and Legends" verspricht der Untertitel dieses Kompendiums, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, circa 150 Jahre Fußball auf den britischen Inseln innerhalb eines schmalen Rahmens von 240 Seiten darzustellen.
Vorab: Natürlich ist dieses Unternehmen kaum durchführbar. Dennoch ist in diesem Fall eine ziemlich schlüssige Aufbereitung gelungen. Alle wichtigen Entwicklungen der englischen Fußballgeschichte werden in kurzen Absätzen beleuchtet, das Interesse des Lesers erschöpft sich also niemals in langatmigen Schilderungen. Ganz großartig sind auch die zahlreichen Bilder aus dem Archiv der Daily Mail, die das Buch zu einem visuellen Erlebnis machen und den Titel "PHOTOGRAPHIC" absolut rechtfertigen. Ausführliche Biografien zu den bedeutendsten Spielern und vollständige Tabellen der ersten Ligen Englands und Schottlands sowie alle Ergebniss der Pokalfinals runden den gelungenen Band ab. Das Englisch ist zudem auch für deutsche Fans mit ein bisschen Fußball-Vokabular sehr gut verständlich. 

Nichtsdestotrotz möchte ich an dieser Stelle auch auf kleinere Mängel hinweisen. Zunächst ist da die sehr kleine Schrift, die auch dafür verantwortlich ist, dass man das Buch trotz der überschaubaren Seitenzahl nicht so schnell durchbekommen wird. Auch darf der Leser hier keine kontinuierliche Geschichte der wichtigsten Clubs erwarten. Erwähnt werden in der Regel die Mannschaften, die in einem bestimmten Zeitraum auch Erfolg hatten, Mittelfeldclubs haben in diesem Überblick eher keinen Platz. Wer es also nicht mit den "Big 4" hält, die bis 2012 den englischen Fußball dominiert haben, wird wohl kaum etwas Neues erfahren. Ähnlich verhält es sich mit den frühen Entwicklungen der Nationalmannschaft, wohingegen die Zeit ab den 1950ern in dieser Hinsicht sehr ausführlich beschrieben wird. Und auch wenn es im Titel "British" heißt, sollte es nicht überraschen, dass es letztendlich doch hauptsächlich um England geht. Die schottische Liga bekommt immerhin am Ende jedes Kapitels ein paar Extraseiten, die Erwähnungen von Wales und Nordirland sind dagegen marginal.

Dennoch möchte ich dem Werk, auch wegen der wundervollen Bonus-DVD "The FA Cup finals", die Highlights aus allen Pokalfinals zwischen 1920 und 1969 in fantastischer British-Pathé-Qualität enthält, die volle Punktzahl nicht vorenthalten, denn die eigene Maßgabe hat das Buch absolut erfüllt. 
The Iris Fan by Laura Joh Rowland

Go to review page

adventurous dark mysterious tense medium-paced
  • Plot- or character-driven? Plot
  • Strong character development? No
  • Loveable characters? It's complicated
  • Diverse cast of characters? No
  • Flaws of characters a main focus? Yes

3.0

Finale Gedanken zur Ichiro-Sano-Reihe

Nahezu zweieinhalb Jahre habe ich mit dieser Reihe verbracht, die ein Versprechen zu sein schien, genau das zu liefern, was ich mir immer gewünscht hatte: Krimi, Intrige und das alte Japan. Nach dieser Zeit ist meine anfängliche Begeisterung etwas zur Ruhe gekommen. Ja, ich bin bis ganz zum Schluss drangeblieben, 18 Bände hindurch, weil ich dem Sog der Geschichte nicht widerstehen konnte. Ich wollte wissen, wie es ausgeht. Und dieses Buch ist ein zufriedenstellendes Ende.

Nichtsdestotrotz hat die Richtung, die diese Reihe mehr und mehr eingeschlagen hat, mich hadern lassen. Von den ersten Bänden, die reine Krimis sind und als diese unfassbar mitreißend, sind die mittleren und späten Titel sehr weit entfernt. Stattdessen hat sich ein Hauptplot herausgebildet, in dem nicht mehr die Frage im Zentrum steht, ob unser Held Sano die ihm aufgetragenen Fälle lösen kann, sondern, ob es ihm gelingt, innerhalb der Intrigen des Shogunats zu überleben.

Intrigen haben sicher etwas für sich. Aber in dieser Reihe haben sie sich irgendwann abgenutzt. Waren die Winkelzüge des Antagonisten Yanagisawa anfangs noch meisterhaft durchgeplant und überraschend, so flachte die Kreativität irgendwann ab. Lügen, drohende Degradierung, Gegenrede, und das ganze wieder von vorne. Das ist der Hauptinhalt der späteren Teile.

Es hätte sicher besser sein können. Aber ich empfehle jedem, der sich für Kultur oder Epoche interessiert, einmal reinzuschnuppern. Vielleicht findest du genau das, was du gesucht hast. 
Mord in Kanton by Robert van Gulik

Go to review page

informative mysterious reflective slow-paced
  • Plot- or character-driven? A mix
  • Strong character development? No
  • Loveable characters? Yes
  • Diverse cast of characters? No
  • Flaws of characters a main focus? No

2.5

Fazit zur Richter Di-Reihe

Richter Di ist eine Legende des alten China, ein Protoyp des edlen, meisterhaft gewandten Beamten, der Verbrechen aufklärt und die Ordnung des Riesenreiches der Tang-Dynastie aufrecht erhält. Die zahlreichen Fälle, die Robert van Gulik dieser Person gewidmet hat, sind sich in Struktur und Stil ähnlich, weshalb diese Rezension sich auf alle von ihm erdachten Reihentitel bezieht.

Auch heute noch lösen die Krimis Begeisterungsstürme aus, auf einschlägigen Portalen wimmelt es von 5-Sterne-Rezensionen. Auch ich konnte mich der Faszination des redlichen und gleichzeitig cleveren Protagonisten kaum entziehen. Ich bin RvG dankbar, dass er Richter Di nicht zu einem verschrobenen, in Rätseln sprechenden Kauz gemacht hat, der im modernen Krimi so omnipräsent ist, sondern zu einer in jeder Hinsicht nachvollziehbaren Figur. Er ist klug, aber er macht auch Fehler, kann autoritär auftreten und leise Töne anschlagen, er bleibt immer sympathisch. Und seine Mitstreiter Ma Jung und Tschiao Tai haben es mir besonders angetan - Tatkräftige Ermittler mit Witz und Esprit, die beide jeden Band, in dem sie vorkommen, aufwerten.

Ich rate dennoch davon ab, diese Krimis heute zu lesen, vor allem in dieser Menge. Und das hat verschiedene Gründe.

Da ist zunächst einmal die Tatsache, dass die Werke in den 50er und frühen 60er Jahren geschrieben wurden. Man kann sagen, was man will, aber man merkt es ihnen an. Was von zeitgenössischen Blättern als "ungemein süffig" eingestuft wurde, ist in diesem Fall in der Kategorie Spannung gegenüber im 21. Jahrhundert entstandenen Krimis einfach nicht mehr konkurrenzfähig. Ohne Wenn und Aber. 

Mir ist allerdings durchaus bewusst, dass man hier einen unfairen Maßstab ansetzt und der Wert der Reihe woanders liegt - in ihrer Funktion als Milieuroman des chinesischen Mittelalters. 
Fast immer wird die Authentizität des Settings von Rezensenten gelobt. Und ich möchte auf keinen Fall in Abrede stellen, dass der Autor ein versierter Kenner des alten China gewesen ist und eine für einen Ausländer geradezu absurde Einsicht in die Gegebenheiten dieser Kultur gewonnen und vermittelt hat. Zahlreiche dieser Inhalte finden ihren Platz in den Romanen. Und doch ist ein tiefes Eintauchen in die fremde Welt, ein echtes China-Feeling, bei mir nur in den seltensten Fällen möglich gewesen.

Vielleicht liegt das an der deutschen Übersetzung. Diese ist nahezu durchgehend sehr, sehr holprig, bisweilen sogar, als handle es sich um ein Sachbuch. Chaos als Spannungselement fehlt schlicht. Jede Handlung unterliegt einem starren organisatorischen Korsett, die chinesische Gesellschaft duldet keine Aufmischung.
Einzelne Wörter, die mich immer und immer wieder aus der exotischen Schilderung rissen, möchte ich hier ebenfalls anführen: "Boxer" als Bezeichnung für einen Straßenkämpfer ist schon fast lächerlich anachronistisch. "Hausbesorger"? Das klingt nach der Bundesrepublik der 60er Jahre, und überhaupt nicht nach 650 nach Christus. Und was bitte ist ein "Ölkuchen"? Gibt es dafür keine adäquatere Übersetzung. Selbst ein chinesischer Begriff wäre hier passender gewesen. Dass das Brettspiel Go durchgehend als "Schach" bezeichnet wird, ist nur die Spitze des Eisbergs. Derlei Begrifflichkeiten finden sich zuhauf. Die Übersetzung ist ein hohes Hindernis in dem Bestreben, eine fremde Welt zu entdecken.

Authentizität ist gut und wichtig. Aber sie hat da ihre Grenzen, wo sie den Plot ausbremst. In jedem Roman der Reihe hat der Richter es nicht mit einem, sondern mit drei Fällen zu tun. Authentisch (ohne Sarkasmus!) bis ins Detail! Aber mich kann eine Lektüre kaum befriedigen, wenn ich spätestens nach zwei Dritteln eines Buches geistig aussteige, weil die drei Fälle so sehr ineinander verworren sind, dass man den Überblick verliert. Die Idee ist sehr sehr löblich, aber die Umsetzung fast immer ein Gordischer Knoten, der die ohnehin mäßige Spannung oft gekillt hat. Selbst wenn teilweise überragende Twists eingebaut wurden (wie in "Nächtlicher Spuk im Mönchskloster", für mich der beste Teil der Reihe), wollte ich in den wenigsten Fällen wirklich um jeden Preis wissen, wies ausgeht.

Ein weiterer Punkt betrifft die Namensgebung, die Authentizität ebenfalls vor Marktgerechtigkeit angesiedelt hat. Antonio Garrido, der, ebenfalls als Europäer, mit "Der Totenleser" den besten mir bekannten historischen Roman im Alten China geschrieben hat, merkt im Schlusswort an, er habe bewusst ähnliche Namen vermieden und starke Unterscheidungen verwendet, da niemand einen Roman lesen wolle, in dem die Protagonisten "Song, Dong, Fong, Kong, Kang, Fang, Feng, Peng und Ming" hießen. Van Gulik löst dieses Problem anders, nämlich durch Namensdopplungen oder zumindest starke Ähnlichkeiten bei vollkommen verschiedenen Figuren. Erneut sicher überaus authentisch, aber eben auch unfassbar unpraktisch. Ich kann mich an nahezu keinen Plot mehr wirklich erinnern, einfach, weil ich überhaupt nicht mehr weiß, wer, abgesehen von den wiederkehrenden Hauptfiguren, jetzt in welchem Roman eine Rolle gespielt hat.

Abschließend möchte ich noch das frappierend unangenehme Frauenbild von van Gulik ansprechen. Weibliche Personen haben zwar oft genug auch positive Charakterzüge, aber durch alle Bände zieht sich eine unterschwellige Sexualisierung, die ganz sicher nicht mehr authentisch ist. So ist es völlig normal, dass Frauen aus der Unterschicht und sogar Mittelschicht mit entblößten Oberkörpern herumspazieren. Kontextualisiert wird das nicht, den Büchern nach zu urteilen, muss das alte China eine unfassbar fteizügige, dauerlüsterne Gesellschaft gewesen sein (Dazu auch der Fakt, dass eine von einem Mann vor einer Vergewaltigung gerettete Frau diesem in ihrem Haus als Belohnung umgehend Sex anbietet... Nein, einfach nein.). Auch in jeder zweiten Illustration mit einer Frau reckt diese einem ihre sekundären Geschlechtsmerkmale ins Blickfeld. Oft genug sind diese Bilder sogar die Coverzierde. Was hat sich der Diogenes-Verlag bitte dabei gedacht? Jedesmal, wenn ich im ÖPNV eines der Bücher gelesen habe, haben meine Mitfahrer wohl denken müssen, ich läse einen Schmuddelroman. In einem Forum habe ich die Mutmaßungen gefunden, van Gulik sei, nachdem er von der sexuellen Entscheidungsmacht des Mannes im frühen China durch sein Quellenstudium erfahren hatte, so frustriert über die emanzipierteren Konventionen seiner Zeit gewesen, dass er seine sexuellen Fantasien in den Romanen ausgelebt habe. Das kann ich nsch der Lektüre einfach nur bestätigen. 

Auch wenn die Reihe sicherlich fachlich exzellent umgesetzt wurde, haben diese Einschränkungen mir den Lesespass leider oft verdorben. Kann ich die positiven Rezensionen trotzdem nachvollziehen? Ja, denn man kann, gerade, wenn man vielleicht etwas älter ist als 22 und ein bisschen weniger Vorkenntnisse über China hat, mit den Büchern sicher ungemein Spaß haben. Würde ich mir die Reihe noch einmal kaufen und komplett lesen? Nein. Definitiv nicht. 
Riesensterns Rache by Erin Hunter

Go to review page

adventurous emotional sad slow-paced
  • Plot- or character-driven? Character
  • Strong character development? Yes
  • Loveable characters? No
  • Diverse cast of characters? No
  • Flaws of characters a main focus? Yes

2.75

Riesensterns Rache ist, wie der Titel schon zeigt, eine Rachegeschichte. Leider nicht so eine gute wie "Ahornschattens Vergeltung", weil die Motivation nicht so ausgearbeitet ist und eigentlich schon von Beginn an klar ist, dass der Protagonist im Unrecht ist. 

So bleibt leider nicht viel zum Abschied von den Geschichten dieser Reihe zu sagen. Ein sehr cooler Jake, von dem ich im Laufe der Serie gern noch mehr erfahren hätte, ist ein Lichtblick, ansonsten ist diese Geschichte ziemlicher Durchschnitt. 
Der Finger des Todes by Laura Joh Rowland

Go to review page

adventurous dark mysterious medium-paced
  • Plot- or character-driven? Plot
  • Strong character development? Yes
  • Loveable characters? Yes
  • Diverse cast of characters? No
  • Flaws of characters a main focus? It's complicated

4.0

Ich bin froh, endlich mal wieder einen Band der Reihe in den Händen gehalten zu haben, der die Jagd nach Verbrechern in den Vordergrund stellt und diese auch spannend umsetzt, anstatt mich mit politischen Intrigen zu langweilen. Mögen die restlichen Teile dieser Maßgabe folgen! 
Tigerkralles Zorn by Erin Hunter

Go to review page

adventurous tense fast-paced
  • Plot- or character-driven? Character
  • Strong character development? No
  • Loveable characters? No
  • Diverse cast of characters? No
  • Flaws of characters a main focus? It's complicated

3.5

Ordentliches Short Adventure ohne wirkliche Schwächen, aber leider auch ohne Höhepunkte. 
Der Brief des Feindes by Laura Joh Rowland

Go to review page

dark mysterious tense medium-paced
  • Plot- or character-driven? Plot
  • Strong character development? No
  • Loveable characters? No
  • Diverse cast of characters? No
  • Flaws of characters a main focus? No

2.0

Nach dem Tod des Staatsrates Makino entspinnt sich für Sano Ichiro ein Fall, der doch wieder recht interessant und undurchsichtig wäre - wenn er denn der Hauptplot des Romans wäre. Leider geht es in dem Buch hauptsächlich um Politik und um die Sabotage der Ermittlungen. Deswegen bisweilen ein zäher Lesestoff. 
Tüpfelblatts Herz by Erin Hunter

Go to review page

adventurous emotional tense fast-paced
  • Plot- or character-driven? Character
  • Strong character development? Yes
  • Loveable characters? Yes
  • Diverse cast of characters? No
  • Flaws of characters a main focus? Yes

4.0

Zum erstmal letzten Mal kehrte ich zurück in das Waldrevier des Donnerclans, um von der Vorgeschichte von Tüpfelblatt zu lesen. Ohne Zweifel eine der sympathischsten Katzen, und als eine Protagonistin, die meistens den richtigen Kompass hat, wenn es um Moral geht, war diese Kurzgeschichte ein angenehmes Erlebnis. 
Natürlich war die hier verhandelte Beziehung ziemlich verabscheuenswürdig, aber da mir die Konstellation bereits vorher bekannt war, hat es mich nicht so sehr mitgenommen. 

Interessant wäre definitiv Tüpfelblatts Reaktion auf Stachelkralles Tod gewesen. Der spielt hier und in Blausterns Prophezeiung eine sehr wichtige Rolle, doch sein Ende wird einmal gar nicht und einmal nur total beiläufig erwähnt. Dafür, dass er der Ursprung der Villains im Donnerclan ist, hätte dieses Schlüsselereignis mehr Platz finden sollen.


Natürlich kann ein Short Adventure nur einen sehr begrenzten Zeitraum abbilden. Für das, was es ist, ist die Geschichte in Ordnung, aber Tüpfelblatt hätte sicher auch ein Special Adventure verdient gehabt. Welches dann nicht zwingend auf ihre kurze Liebesgeschichte fokussiert gewesen wäre.
Kann ich also Tüpfelblatts Abschlussworte teilen?

Von jetzt an gehört mein Herz nur noch dem DonnerClan. 

Vielleicht nicht, wenn ich an einige ihrer Gefährten denke. Ein Abgang mit Knalleffekt bleibt es trotzdem.