A review by muyelinh
"Jungens, Euch gehört der Himmel!" Die Geschichte der Oberliga West 1947-1963 by Hans Dieter Baroth

informative sad medium-paced

2.0

Hans-Dieter Baroth, geboren 1937 in Oer-Erkenschwick und 2008 verstorben, ist die undankbare Aufgabe zugefallen, als Erster eine Geschichte einer deutschen Fußball-Oberliga zwischen 1945 und 1963 auf die Beine zu stellen. Die goldenen Oberliga-Zeiten - das gilt für kein Gebiet mehr als für den Westen, dessen Spitzenteams in der frühen Bonner Republik auch zur absoluten Reichsspitze gehörten.

Ich möchte durchaus das erzählerische Konzept des Autors loben, hier eine Sammlung persönlicher Erinnerungen und schriftlicher Aufzeichnungen, für die er sorgfältig recherchiert hat, vorzulegen. Er hätte letztere aber nicht wörtlich zitieren sollen, denn sie passen mit ihrer Sprache überhaupt nicht in dieses Buch. Und der Schreibstil weist noch weitere Probleme auf. Baroth ist Fußballfan - vor allem aber ist er hier Romancier. Und als solcher schreibt er die Passagen in diesem Buch oftmals in einer Form, die gut in einen Roman passen würde, mit ihren stakkatohaften Sätzen und gewundenen Formulierungen in diesem dokumentarischen Werk aber vollkommen fehl am Platz wirkt.

Auch der zeitliche Umfang des Erzählten ist bisweilen unglücklich gewählt. Bei manchen Vereinen, ganz besonders beim VfL Bochum und bei Schalke 04, steigt der Autor in der Urgeschichte der Vereine ein und verliert über die Oberliga-Zeit kaum ein Wort. Und im Falle der kleinen Zechenvereine - z. B. Horst-Emscher oder Katernberg - wurde das Stilmittel gewählt, die Vergangenheit in Schilderungen aus der Gegenwart einzubetten. An und für sich eine nette Idee, nur, dass sich diese Beschreibungen keinen Deut voneinander unterscheiden und damit nach dem zweiten Mal langweilig und nach dem fünften Mal unlesbar werden. Der Verein spielt heute dritt- bis fünftklassig, es kommen nur wenige Zuschauer, die Spieler sind alle nicht "von hier", und am Ende des Fußballtages geht man mit einem lahmen Remis oder mit einer Niederlage in die Kneipe, wo alle Fans eher gleichgültig als enttäuscht sind. Und das ist offensichtlich überall haargenau so.  

Das Buch wurde 1988 veröffentlicht, also zu einem Zeitpunkt, an dem der Revierfußball total am Boden lag. Dortmund war eine absolute Durchschnittstruppe, zwei Jahre zuvor fast abgestiegen. Schalke hatte gerade den dritten Abstieg innerhalb von sieben Jahren hinter sich gebracht, Rot-Weiss Essen spielte drittklassig, und all die anderen Vereine irgendwo unter ferner liefen. Insgesamt vermittelt das Buch eine unglaublich trostlose Stimmung, und ein Oberliga-Fieber wird nicht, aber auch gar nicht entfacht. Klar wusste ich auch vorher, dass die Kohlenpottler sich gerne im Selbstmitleid suhlen, aber lesen wollte ich das eigentlich nicht. Dieses Buch nimmt sich bierernst, und das passt mir nicht. Ich lese lieber Fußballbücher mit erfrischender Ironie und einer positiven Grundeinstellung. Eine Neuauflage des Bandes, im Lichte der neuen Erfolge der genannten Vereine, wäre irgendwie sehr reizvoll.

Darüber hinaus irritieren ständige Rechtschreibfehler bei Spielernamen ("Eppenhof" statt Eppenhoff, "Wevers" statt Wewers, "Kordell" oder "Kördel" statt des richtigen "Kördell", "Weißweiler" statt Weisweiler oder "Kreutz" statt Kreuz... Vielleicht auch noch andere, die mir nicht aufgefallen sind, da auch ich nun natürlich nicht jeden Spieler kenne). Das kann mal passieren, aber doch nicht in dieser Häufigkeit! Das ganze wirkt dadurch übrigens noch skurriler und peinlicher, dass mit Ausnahme des armen Heinz Kördell jeder dieser Namen mindestens einmal auch in richtiger Schreibweise in diesem Buch auftaucht...

Nun kommen wir aber zum Kardinalfehler des Buches, der mich wirklich sauer macht. Baroth erdreistet sich in seiner Bilanz tatsächlich, zu behaupten, die Liga hätte auch den Namen "Oberliga des Ruhrgebietes" tragen können, weil die Vereine aus der Region ja dominiert hätten (Es gibt auch noch andere Strohmann-Argumente). Bitte was? Von 31 Mitgliedern der Liga lassen sich 17 (Borussia Dortmund, Schalke 04, STV Horst-Emscher, Rot-Weiss Essen, Schwarz-Weiß Essen, Sportfreunde Katernberg, Meidericher SV, Duisburger SpV, Hamborn 07, Duisburger FV 08, Westfalia Herne, SV Sodingen, VfL Bochum, Rot-Weiss Oberhausen, SpVgg Erkenschwick, VfL Witten und TSV Marl-Hüls) im weitesten Sinne dem Ruhrgebiet zuordnen. Wobei nicht einmal alle davon porträtiert werden. 14 Teams (1. FC Köln, Viktoria Köln, Preußen Dellbrück, VfR 04 Köln, Fortuna Düsseldorf, Alemannia Aachen, Preußen Münster, Wuppertaler SV, TSG 80 Vohwinkel, Borussia Mönchengladbach, Rheydter SpV, Arminia Bielefeld, Bayer 04 Leverkusen und Rhenania Würselen), also nur eine knappe Minderheit, hatten und haben dagegen mit dem Ruhrgebiet gar nichts zu tun. Doch auch diese Teams haben der Liga ihr Gesicht gegeben und hätten tonnenweise Potenzial für spannende Geschichten gehabt. Ich will dem Autor gar keinen Vorwurf machen, er kannte sich mit den Clubs am Mittel- und Niederrhein vermutlich gar nicht aus. Aber der Klartext Verlag hätte dieses Faktum niemals als Vorwand dafür akzeptieren dürfen, den Inhalt dieses Buches so einzudampfen. Wenn das eine "Geschichte der Oberliga West" sein soll, dann ist sie in nahezu allen Bereichen mangelhaft. Es gibt zwar noch einen zweiten Band, doch der ist nicht nur praktisch nicht mehr erhältlich, sondern der Titel "Helmut, erzähl mich dat Tor!" lässt nicht unbedingt darauf schließen, dass dort die Schwerpunktsetzung groß anders wäre.

Das Buch ist eine Enttäuschung, und ich konnte es nicht genießen. Zwar gibt es immer wieder auch Schilderungen von großartigen Spielern und Spielen der Zeit, aber das reicht halt nicht. Und auch der Statistikteil ist einfach nur schwach, Saisonzusammenfassungen, Torschützenlisten, Aufstiegsrunden oder gar Spielerstatistiken sucht man vergeblich. Stattdessen bietet das Buch nur dröge Kreuz- und Punktetabellen, die man auch in jedem Wikipedia-Artikel findet.