A review by muyelinh
Das Rätsel der schwarzen Lotosblüte / Black Lotus by Laura Joh Rowland

dark emotional mysterious sad medium-paced
  • Plot- or character-driven? Character
  • Strong character development? No
  • Loveable characters? No
  • Diverse cast of characters? No
  • Flaws of characters a main focus? Yes

3.0

Im zentralen Tempelbezirk der Hauptstadt Edo ermittelt Ichiro Sano in einem verheerenden Fall von Brandstiftung. Das Feuer hat drei Todesopfer gefordert, und die einzige Zeugin ist ein junges Mädchen, das benommen am Tatort aufgefunden wurde und vorgibt, sich an nichts erinnern zu können. Hat sie wirklich drei Morde zu verantworten? Und was passiert hinter den Mauern der Sekte "schwarze Lotosblüte"? 
Ein schwierig einzuordnendes Buch. Es ist wohl das erste der Reihe, das ich alx character-driven bezeichnen würde, denn ich hatte mir relativ schnell zurechtgelegt, was passiert sein könnte, und große Alternativvorschläge zu den beiden Tathergangs-Theorien, von denen eine eklatant favorisiert dargestellt wird, gibt es nicht. 
Der Schreibstil dagegen hat mir außerordentlich gefallen, ein interessanter Mix aus poetisch und schonungslos, der eine bedrohliche Atmosphäre in das geheimnisvolle Sektenkloster einschleust. Auch die über 600 Seiten merkt man dem Buch nicht wirklich an. Aber wenn bei einer solchen Länge die Figuren im Vordergrund stehen, sollten diese auch überzeugen und zumindest im Ansatz sympathisch sein. Und das sehe ich hier nicht! 

Womit fange ich an? Wie wäre es denn mit Haru, dem Mädchen, das einen ganzen Roman lang um sein Leben kämpfen muss? Anfangs war sie mir sympathisch. Aber dieser Eindruck schwand mit jedem Kapitel. Sie spricht fast nicht, und wenn sie dazu gezwungen wird, erzählt sie offensichtliche Lügen. Verhält sich so eine Todgeweihte? Hätte sie von Anfang an die Wahrheit gesagt, hätte daraus immer noch ein spannender Krimi werden können, zumal ihr kaum jemand glaubt und es trotzdem schwierig wäre, Beweise gegen die schwarze Lotosblüte zu erbringen. Damit wäre sie sympathisch geblieben. So war ihr Ende fast schon eine Erlösung. Nun aber zu den Hauptfiguren, Sano und Reiko. Was war das?? Gut, es gab schon in Band 4 und 5 Andeutungen, dass die beiden gerne mal unterschiedliche Ansätze verfolgen und die eigenen Vertrauensgrenzen austesten. Aber hier agieren sie fast wie Held und Schurke. Ganz ehrlich, wo ist bitte der aufrichtige und clevere Underdog aus den ersten Bänden hin, der die Wahrheitsfindung über sein eigenes Wohlergehen stellte und damit mein Leserherz höher schlagen ließ? Der verheiratete Sano hat scheinbar zwischendurch ein paar Semester Schurkologie studiert, dabei alle seine progressiven Prinzipien über Bord geworfen und ist dann in der Masse an selbstgefälligen und erzkonstervativen Samurai versunken. Ich war frustriert und mehrfach wollte ich den Herrn an den Schultern rütteln und ihm *You were supposed to destroy them, not join them! * zurufen.
 Reiko ist zwar besser, weil circa hundertmal so sympathisch, aber irgendwie nervt es auch, wie sie quasi immer mehr in die Hauptrolle gedrängt wird, um ihr fortschrittliches Frauenbild vertreten zu können, was dann mal wieder einen Ehekrach auslöst, der total fehl am Platz ist.
 Immerhin reflektieren die Protagonisten ihr kindisches Verhalten am Ende, was in mir die große Hoffnung schürt, dass die Seifenoper "Die Sanos - eine schrecklich zerstrittene Familie" jetzt tatsächlich vorbei ist und die beiden endlich mal als Team arbeiten können, denn diese Dynamik stelle ich mir richtig gut vor! Kommen wir zu den Antagonisten, ein absolut verabscheuenswürdiger Arschlöcherbund. Natürlich kann das zum Leseerlebnis beitragen, indem man besagt Personen dann mit fiebrigem Eifer verwünscht und negative Gefühle auf sie projiziert. Ich bin allerdings eher Fan von fähigen und vor allem irgendwie nachvollziehbaren Feinden. Bei Kumashiro und Dr. Miwa funktioniert das noch einigermaßen, wobei Letzterer noch Potenzial gehabt hätte. Junketsu-in ist dagegen krass farblos und Anraku schlicht und einfach das genaue Gegenteil von dem, was ich mir unter einem starken Antagonisten vorstelle. Als geistig von jeder Bodenhaftung befreit, aber taktisch überhaupt nicht herausragender Narzisst ist es vollkommen unmöglich, ihn als würdig einzustufen, die Feindesschar eines Buches anzuführen.
 

 Dass Fürstin Keisho-in vorkommt, ist auch ganz ganz schlimm, für mich ohne jede Diskussion in der Top 3 der fiktiven Charaktere, die so unangenehm geschrieben sind, dass sich mir die Fußnägel hochrollen. Hoffentlich stirbt die noch in einem der Bände, die auf Deutsch übersetzt wurden.
 Die Romance mit Hirata ist ganz süß, damit vielleicht noch einmal ein Ausgleich hier am Ende. 
Insgesamt ein gut geschriebener Roman mit interessantem Setting, dessen Charaktere mir leider größtenteils ziemlich auf den Wecker gegangen sind.