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A review by muyelinh
Joachim Löw. Ästhet, Stratege, Weltmeister by Christoph Bausenwein
challenging
informative
slow-paced
2.0
Zur Einordnung dieser Rezension sei vorangestellt, dass der Rezensent Joachim Löw für, wie es Theodor Fontanes Legationsrat Duquede ausdrückt, "überschätzt" hält.
Dieses Buch über Joachim Löw begleitet den Bundestrainer in drei voneinander abgegrenzten Bereichen:
1. Löws Werdegang bis zu seiner Ernennung zum Nationaltrainer
2. Löw als Nationaltrainer bis zum WM-Titel 2014
3. Die Nationalmannschaft als "Firma Löw"
Der erste Teil ist dabei sehr gut gelungen! Löws Stationen vor der NM waren offenbar noch weniger erfolgreich, als ich dachte - allerdings ist gerade die Auseinandersetzung mit einem als "gescheitert" abgestempelten Individuum deutlich interessanter als bei einem erfolgreichen, beliebten Toptrainer ohne die Sorgen um die Schnelllebigkeit dieses Geschäfts. Auch den wiedekehrenden Gegensatz zwischen dem biederen badischen Streber, dem "netten Herrn Löw" und dem coolen Nivea-Jogi fand ich passend gewählt. Zudem rechne ich es dem Autor hoch an, dass er zumindest versucht, sich auch dem Menschen Löw anzunähern. Dieser Versuch muss letztlich scheitern, weil Joachim Löw von jeher kaum jemanden an sich herangelassen hat und sich beinahe als entrückter "Ozean-Jogi" über das Tun und Sein der Menschen erhoben hat - so jemanden kann man nicht hinreichend skizzieren, zumindest bleiben ein paar lustige Zwischensequenzen über das Äußere des Protagonisten. Vermisst habe ich einen Einschub über die humoristische Umsetzung der Figur Löw durch die Imitationen Matze Knops wie dessen Kulthit "Jogipalöw".
Der Rest des Buches leidet darunter, dass eine Prämisse aufgestellt wird, die ich nicht teile: Erfolg im Fußball, das sei in erster, zweiter und hinterletzter Linie eine Sache der Taktik. Und die beste Taktik, die habe eben Joachim Löw, der (Weiter-)Entwickler der Nationalmannschaft, geschaffen: attraktiven, offensiven Dominanzfußball, wie Jogi sagt "Elite".
Bis 2010 gehe ich mit. Aber dann versteigt sich der Autor zu einer Aussage, die in meinen Augen sämtliche ausufernden Taktikexkurse in dem Buch wertlos macht: Spanien sei das Vorbild dieser Spielidee.
Das ist auf der falschen Ebene richtig. Das spanische Tiki-Taka war niemals attraktiv oder gar offensiv! Hier einmal der Weg der Iberer zum WM-Titel 2010:
0:1, 2:0, 2:1, 1:0, 1:0, 1:0, 1:0.
Das sind 8 Tore in 7 Spielen. Wo zum Teufel ist das offensiv??! Spaniens Spielstil, basierend auf Ballbesitz und Kurzpässen, zielte von jeher darauf ab, den Gegner zu ersticken, ihn müde zu laufen und irgendwann einen Ball reinzudrücken. Zur Tormaschine wurde die Furia Roja nur dann, wenn ihr der Gegner keine andere Wahl ließ - Wie bei der EM 2012 die schwachen Iren oder (gezwungenermaßen) auf 10 Mann dezimierte und desillusionierte Italiener.
DAS ist der Spielstil, den Löw abgekupfert hat, und für den er den mitreißenden Angriffsfußball der WM 2010 opferte.
Alle Taktikanalysen sind also zum Einen langweilig und zum anderen für mich persönlich total unverständlich. Das geht aber mit weiteren Eckpunkten der hier postulierten Löw-Philosophie nahtlos weiter:
Jogis Nominierungspraxis soll angeblich das Leistungsprinzip sowie junge Spieler würdigen. In beiden Fällen bin ich froh, dass die Zeit gezeigt hat, dass beides nie eine Rolle für den Alleinherrscher Joachim Löw gespielt hat. Im Buch wird die konsequente Nichtberücksichtigung leistungsstarker Fußballer dadurch legitimiert, dass sie nicht in Löws Philosophie gepasst hätten. Diese Erklärung, auch von ihm selbst bemüht, ist aber unzulässig, wenn der Erfolg nicht stimmt. Leroy Sané bzw. Julian Draxler lassen grüßen. Der Gipfel der Entwicklung, dass nur Löw-Lieblinge nominiert wurden, ist dessen Rückendeckung für die Spieler Özil und Gündogan gewesen, die den türkischen Machthaber Erdogan als ihren Präsidenten bezeichneten und damit offenlegten, dass sie eigentlich nur des Geldes wegen den Adler auf der Brust tragen.
Zum Thema junge Spieler: Der DFB-Altersdurchschnitt bei der WM 2018 war 26,7...
Überhaupt lässt der katastrophale Ausgang der WM 2018 und teilweise der EM 2021 nach diesem Buch nur zwei mögliche Schlüsse zu:
1. Länder wie Südkorea und Mexiko hatten die bessere Taktik als der, wie im Buch breit ausgewalzt wird, über Jahre hinweg feingeschliffene Löwsche Ballbesitz. Also sind deren Trainer, an deren Namen ich mich gar nicht mehr erinnere, Genies, oder Jogi hat den Anschluss komplett verpasst.
2. Der WM-Gewinn hat in Löw das Gefühl ausgelöst, dass er der mit Abstand beste Trainer der Welt ist und sein Spielsystem nicht zu übertreffen sei. Diese Arroganz hat ihn die Augen vor der Entwicklung des Fußballs, die, wie Liverpool, Real Madrid oder auch die französische Nationalmannschaft zeigen, wieder stark in Richtung Körperbetontheit, Pressing und überfallartiges Konterspiel geht, verschließen lassen.
Generell macht es sich der Autor viel zu leicht, indem er die Betrachtung Joachim Löws im Juli 2014 abschließt. Hätte Jogi damals seine Karriere beendet, wäre diese Entscheidung nachvollziehbar. Aber da er dies versäumte, gehört zum Trainer Joachim Löw eben auch alles danach: WM-Vorrundenaus als Gruppenletzter, 0:6 gegen Spanien, 1:2 gegen Nordmazedonien. Dieses Buch ist wie eine Mike Tyson-Biografie, die mit dessen erstem WM-Gewinn enden würde. Nicht nur ist dieser Ansatz furchtbar langweilig. Das Leben eines Menschen ist nun einmal keine kontinuierliche Entwicklung, sondern von Auf und Abs geprägt, gerade das macht es so interessant. Aber das vermittelt das Buch nicht.
Ich habe insgesamt den Eindruck, dass der Umgang mit Jogi Löw in der Fußballwelt von einer unsichtbaren Mauer geprägt ist. Sobald man auf seriöser Basis über ihn spricht oder schreibt, gilt eine Regel: Kritisiert wird nicht, immerhin ist er ja "UNSER Weldmeischder-Trääner". Das gilt für Trainer, Spieler, die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender und, wie dieses Machwerk zeigt, leider auch für den Fußballjournalismus. Was die Mehrheit der Deutschen tatsächlich über den EX-BT denkt, wird man nur von der Fanbasis aus hören. Was traurig ist, da diejenigen, die mit Fußballpublikationen ihr Geld verdienen, es eigentlich besser wissen müssten.
Einzig Taktikfetischisten wie der Fußballfachjournalist Manu Thiele werden an dem Buch gefallen finden können. Für jeden, der wie ich nur auf Trollbasis über Löw lesen will, kann ich das Kicker-Sonderheft zur WM 2018 empfehlen, in dem ein mehrseitiger Artikel künstlerisch vollkommener Realsatire zu finden ist.
Dieses Buch über Joachim Löw begleitet den Bundestrainer in drei voneinander abgegrenzten Bereichen:
1. Löws Werdegang bis zu seiner Ernennung zum Nationaltrainer
2. Löw als Nationaltrainer bis zum WM-Titel 2014
3. Die Nationalmannschaft als "Firma Löw"
Der erste Teil ist dabei sehr gut gelungen! Löws Stationen vor der NM waren offenbar noch weniger erfolgreich, als ich dachte - allerdings ist gerade die Auseinandersetzung mit einem als "gescheitert" abgestempelten Individuum deutlich interessanter als bei einem erfolgreichen, beliebten Toptrainer ohne die Sorgen um die Schnelllebigkeit dieses Geschäfts. Auch den wiedekehrenden Gegensatz zwischen dem biederen badischen Streber, dem "netten Herrn Löw" und dem coolen Nivea-Jogi fand ich passend gewählt. Zudem rechne ich es dem Autor hoch an, dass er zumindest versucht, sich auch dem Menschen Löw anzunähern. Dieser Versuch muss letztlich scheitern, weil Joachim Löw von jeher kaum jemanden an sich herangelassen hat und sich beinahe als entrückter "Ozean-Jogi" über das Tun und Sein der Menschen erhoben hat - so jemanden kann man nicht hinreichend skizzieren, zumindest bleiben ein paar lustige Zwischensequenzen über das Äußere des Protagonisten. Vermisst habe ich einen Einschub über die humoristische Umsetzung der Figur Löw durch die Imitationen Matze Knops wie dessen Kulthit "Jogipalöw".
Der Rest des Buches leidet darunter, dass eine Prämisse aufgestellt wird, die ich nicht teile: Erfolg im Fußball, das sei in erster, zweiter und hinterletzter Linie eine Sache der Taktik. Und die beste Taktik, die habe eben Joachim Löw, der (Weiter-)Entwickler der Nationalmannschaft, geschaffen: attraktiven, offensiven Dominanzfußball, wie Jogi sagt "Elite".
Bis 2010 gehe ich mit. Aber dann versteigt sich der Autor zu einer Aussage, die in meinen Augen sämtliche ausufernden Taktikexkurse in dem Buch wertlos macht: Spanien sei das Vorbild dieser Spielidee.
Das ist auf der falschen Ebene richtig. Das spanische Tiki-Taka war niemals attraktiv oder gar offensiv! Hier einmal der Weg der Iberer zum WM-Titel 2010:
0:1, 2:0, 2:1, 1:0, 1:0, 1:0, 1:0.
Das sind 8 Tore in 7 Spielen. Wo zum Teufel ist das offensiv??! Spaniens Spielstil, basierend auf Ballbesitz und Kurzpässen, zielte von jeher darauf ab, den Gegner zu ersticken, ihn müde zu laufen und irgendwann einen Ball reinzudrücken. Zur Tormaschine wurde die Furia Roja nur dann, wenn ihr der Gegner keine andere Wahl ließ - Wie bei der EM 2012 die schwachen Iren oder (gezwungenermaßen) auf 10 Mann dezimierte und desillusionierte Italiener.
DAS ist der Spielstil, den Löw abgekupfert hat, und für den er den mitreißenden Angriffsfußball der WM 2010 opferte.
Alle Taktikanalysen sind also zum Einen langweilig und zum anderen für mich persönlich total unverständlich. Das geht aber mit weiteren Eckpunkten der hier postulierten Löw-Philosophie nahtlos weiter:
Jogis Nominierungspraxis soll angeblich das Leistungsprinzip sowie junge Spieler würdigen. In beiden Fällen bin ich froh, dass die Zeit gezeigt hat, dass beides nie eine Rolle für den Alleinherrscher Joachim Löw gespielt hat. Im Buch wird die konsequente Nichtberücksichtigung leistungsstarker Fußballer dadurch legitimiert, dass sie nicht in Löws Philosophie gepasst hätten. Diese Erklärung, auch von ihm selbst bemüht, ist aber unzulässig, wenn der Erfolg nicht stimmt. Leroy Sané bzw. Julian Draxler lassen grüßen. Der Gipfel der Entwicklung, dass nur Löw-Lieblinge nominiert wurden, ist dessen Rückendeckung für die Spieler Özil und Gündogan gewesen, die den türkischen Machthaber Erdogan als ihren Präsidenten bezeichneten und damit offenlegten, dass sie eigentlich nur des Geldes wegen den Adler auf der Brust tragen.
Zum Thema junge Spieler: Der DFB-Altersdurchschnitt bei der WM 2018 war 26,7...
Überhaupt lässt der katastrophale Ausgang der WM 2018 und teilweise der EM 2021 nach diesem Buch nur zwei mögliche Schlüsse zu:
1. Länder wie Südkorea und Mexiko hatten die bessere Taktik als der, wie im Buch breit ausgewalzt wird, über Jahre hinweg feingeschliffene Löwsche Ballbesitz. Also sind deren Trainer, an deren Namen ich mich gar nicht mehr erinnere, Genies, oder Jogi hat den Anschluss komplett verpasst.
2. Der WM-Gewinn hat in Löw das Gefühl ausgelöst, dass er der mit Abstand beste Trainer der Welt ist und sein Spielsystem nicht zu übertreffen sei. Diese Arroganz hat ihn die Augen vor der Entwicklung des Fußballs, die, wie Liverpool, Real Madrid oder auch die französische Nationalmannschaft zeigen, wieder stark in Richtung Körperbetontheit, Pressing und überfallartiges Konterspiel geht, verschließen lassen.
Generell macht es sich der Autor viel zu leicht, indem er die Betrachtung Joachim Löws im Juli 2014 abschließt. Hätte Jogi damals seine Karriere beendet, wäre diese Entscheidung nachvollziehbar. Aber da er dies versäumte, gehört zum Trainer Joachim Löw eben auch alles danach: WM-Vorrundenaus als Gruppenletzter, 0:6 gegen Spanien, 1:2 gegen Nordmazedonien. Dieses Buch ist wie eine Mike Tyson-Biografie, die mit dessen erstem WM-Gewinn enden würde. Nicht nur ist dieser Ansatz furchtbar langweilig. Das Leben eines Menschen ist nun einmal keine kontinuierliche Entwicklung, sondern von Auf und Abs geprägt, gerade das macht es so interessant. Aber das vermittelt das Buch nicht.
Ich habe insgesamt den Eindruck, dass der Umgang mit Jogi Löw in der Fußballwelt von einer unsichtbaren Mauer geprägt ist. Sobald man auf seriöser Basis über ihn spricht oder schreibt, gilt eine Regel: Kritisiert wird nicht, immerhin ist er ja "UNSER Weldmeischder-Trääner". Das gilt für Trainer, Spieler, die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender und, wie dieses Machwerk zeigt, leider auch für den Fußballjournalismus. Was die Mehrheit der Deutschen tatsächlich über den EX-BT denkt, wird man nur von der Fanbasis aus hören. Was traurig ist, da diejenigen, die mit Fußballpublikationen ihr Geld verdienen, es eigentlich besser wissen müssten.
Einzig Taktikfetischisten wie der Fußballfachjournalist Manu Thiele werden an dem Buch gefallen finden können. Für jeden, der wie ich nur auf Trollbasis über Löw lesen will, kann ich das Kicker-Sonderheft zur WM 2018 empfehlen, in dem ein mehrseitiger Artikel künstlerisch vollkommener Realsatire zu finden ist.